20/08/2021 – 23/08/2021          Von Julia

Wir treffen uns am Nordkap

In Alta treffen wir unsere Freunde Armin und Dani aus Graz, die ebenfalls auf einer langen Reise mit ihrem Bus sind. Auch wenn wir unabhängig von einander unsere Reisen im vergangen Jahr planten, stand schon viele Monate vorher fest, dass wir uns, wo auch immer mit unseren Bussen, wiedersehen werden. Und nun war dieser Moment da und es fühlt sich unglaublich gut an, zwei so tolle Herzensmenschen, hier in Nordnorwegen, mitten auf einem grauen Schotterplatz, in die Arme zu schließen. In eurer Nähe fühlt es sich halt immer ein wenig nach zu Hause an. Wir werden an diesem Abend nicht nur mit offenen Armen empfangen, sondern auch von einem (viel zu) warmen Bus (sorry Armin :)) und leckerem Curry.

Wir planen ein bisschen die nächsten Tage und wollen uns gemeinsam auf den Weg ans Nordkap machen. 

Bevor wir den nördlichsten Punkt Europas, den man mit dem Auto erreichen kann, besuchen, legen wir noch einen Zwischenstopp an einem kleinen Campingplatz, am Olderfjord ein. Hier versuchen Armin und ich uns zum erstem Mal gemeinsam am Angeln, aber leider ohne Erfolg. Es liegt natürlich weniger an uns, sondern viel mehr an den Gezeiten und der schlechten Lage des Fjords.  

Dani hingegen hat dafür umso mehr Glück, denn sie sammelt für uns so viele Pilze, dass wir am Abend alle satt davon werden. 

Am nächsten Tag machen wir uns dann auf den Weg zum Nordkap und bereits 100 Kilometer vor unserem eigentlichen Ziel beginnt sich die Gegend um uns herum zu wandeln. Wir fahren entlang endloser arktischer Tundra- Landschaften, vorbei an winzigen Fischerdörfern, langen Küstenstraßen und unzähligen Rentierherden. Außerdem lassen wir finstere Tunnel, interessante Schieferformationen und erschöpfte Radfahrer:innen hinter uns. 

Die Strecke ist wunderschön, wir fotografieren aus unseren Bussen heraus, hören Musik und genießen die einmalige Landschaft. Richtiges Roadtripfeeling breitet sich aus.

Am Parkplatz angekommen, pfeift uns der Wind bei 8 Grad zwar ordentlich um die Ohren, aber wir haben einen fantastischen Ausblick auf das weite Nordpolarmeer und die Nordkapkugel. Auch das Getümmel hält sich in Grenzen und wir sind überrascht wie leer es hier ist. Überhaupt sind wir überwältigt von diesem Ort. 

Um ehrlich zu sein, waren wir uns erst nicht sicher ob wir dieser Sehenswürdigkeit tatsächlich einen Besuchen abstatten wollen- zu tourstisch und zu voll- dachten wir, aber in Wahrheit war es ein furchtbar beeindruckendes Highlight unser bisherigen Reise. 

Und auch wenn es ein bisschen albern klingt: hier an diesem Punkt, so weit weg von unserer Heimat, sind wir vier sehr gerührt. Wir kommen aus dem Staunen kaum raus und wie so oft in den letzten Wochen, fühlen wir uns winzig klein. Es ist eben doch ganz anders als wir dachten. Uns wird bewusst wie viele Kilometer wir hinter uns gelassen haben, dass wir bereits gute drei Monate unterwegs sind und wir so viel erlebt haben, wie in unserem “alten Leben” in einem ganzen Jahr nicht. Ich bin so froh, dass uns dieser kleine graue Kasten auf Rädern bis hier her gebracht hat. Es überkommt mich ein wenig, ich rufe meine Eltern an, um dieses Erlebnis mit ihnen zu teilen und ich nehme Tina fest in den Arm, weil ich für das alles hier einfach unendlich dankbar bin.

Während wir noch oben auf dem Plateau unter der Nordkapkugel auf diesen besonderen Ort anstoßen, blicken wir auf die von uns links gelegene Landzunge, denn dort befindet sich der wirklich echte nördlichste Punkt Europas, der nur mit einer 19 Kilometer Wanderung zu erreichen ist. Leichtgläubig verbuchen wir diese in diesem Moment noch als einen etwas längeren Spaziergang. Da der Parkplatz am Nordkap aktuell kostenlos ist, beschließen wir die Nacht hier zu verbringen. Durchgefroren kuscheln wir uns am frühen Abend in unsere Betten, denn wir wollen uns pünktlich zum Sonnenaufgang noch einmal am Plateau treffen, bevor wir los wandern. Also verabschieden wir uns mit dem Satz „Bis morgen, wir treffen uns am Nordkap“. Und das klingt in unseren Ohren schon ziemlich cool.

Gegen 4 Uhr morgens und 4 Grad Celsius starten wir unsere Wanderung zum Knivskjellodden (so heißt die Landzunge der Insel Magerøya, sie liegt 1.400 Meter weiter nördlich als das Nordkap Plateau).

Dick angezogen und mit Proviant gefüllten Rücksäcken laufen wir los. Wir merken schnell, dass dieser Weg etwas anders ist, als die Wanderwege, die wir bisher gelaufen sind. Große Steine, auf denen ein rotes T gezeichnet ist, weisen uns den Weg. Wir laufen über aufgeweichten Boden und Steingeröll und stehen nicht selten knöcheltief im Matsch. Eine unfassbare Weite liegt da vor uns. Auch wenn alles weit und breit flach zu sein scheint, geht es immer wieder bergauf oder bergab. In den ersten 2-3 Stunden reden wir noch viel miteinander, aber allmählich wird es leise und kaum jemand sagt noch etwas. Nach einem Drittel, blicke ich neidisch auf Armins und Danis Wanderstöcke.

 Irgendwann stehen wir vor einem 50 Meter steilen Hang und vor uns liegt das unendlich weite Meer. Dahinter kommt nur noch die Insel Spitzbergen und dann der Nordpool.

Wir stellen fest, dass wir diesen Weg etwas unterschätzt haben und dass wir länger benötigen werden als die Menschen, deren Reiseberichte wir zuvor im Netz gelesen haben. Dani und Armin geben uns jeweils einen Wanderstock ab, der hilft unwahrscheinlich und wir haben wieder Motivation weiter zu laufen. Es fühlt sich so an als hätten wir bereits einen ganzen Tag hinter uns und so entstehen bereits vor 8 Uhr morgens irreführende Videos und Fotos. 

Der Weg führt weiter über Felsplatten unmittelbar am Nordpolarmeer. Steil und etwas rutschig ist es hier, aber wir konzentrieren uns auf den Weg, bis wir endlich ankommen. Wir sind alle unfassbar froh und können über unseren Leichtsinn lachen. Wir pausieren hier ein wenig, machen Fotos vom nördlichsten Punkt Europas (71° 11´ 08´´ nördliche Breite) und tragen uns in das obligatorische Buch ein. 

Mit neuer Energie machen wir uns auf den Rückweg. Zeitweise wie im Rausch, immer einen Fuß vor den anderen ohne nachzudenken. Mal kommen wir aus dem Lachen nicht raus, weil es so absurd ist, mit welchen Schuhen Tina hier unterwegs ist und mal hängt eine große Stille in der Luft. Während Tina auf dem Hinweg noch den Pfützen ausgewichen ist, stampft sie nun demonstrativ hindurch, als wäre ihr sowieso alles egal. Stunde um Stunde vergeht und während ich irgendwann stehen bleibe und mich im Lachen verliere, findet Tina rein gar nicht mehr lustig hier. 

Irgendwann zwischen 13 und 14 Uhr erreichen wir völlig erschöpft unsere Autos. Dani versorgt uns mit Buchstabensuppe und wir tauschen unsere nassen Sachen durch trockene aus. 

Weil wir nichts mehr zu Essen im Haus haben, fahren wir noch das Nötigste einkaufen und danach zu einem nahegelegenen Campingplatz und ziehen uns in unsere Busse zurück. So sehr habe ich meinen ganzen Körper auf einmal schon lange nicht mehr gespürt, aber ich bin richtig stolz auf uns. 

Wir können es nicht zu oft sagen, aber es ist eine so schöne Erinnerung, der Besuch am Nordkap und die Wanderung mit euch geteilt zu haben. Niemals nie werden wir das vergessen!

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23/08/2021  von Tina

Menschen, die gerne und viel Wandern kommen bei meinen Zeilen jetzt sicherlich ins Grübeln. Für jemanden wie mich, die Wandern für ein eher seltsames Hobby hält, war es eine unglaubliche Herausforderung. Mein Wunsch zwischendurch umzukehren war überwältigend groß und kam nicht nur einmal in mir auf, denn ich habe vermutlich noch nie etwas körperlich so anstrengendes freiwillig in meinem Leben getan. Um es sich ein bisschen besser vorstellen zu können, diese 19 Kilometer waren deshalb so unfassbar mühselig zu laufen, weil es keinen Pfad oder Ähnliches gab. Sondern nur diverses Geröll. Und so musste ich bei jedem meiner insgesamt 31 211 Schritte aufpassen, nicht zu stürzen. 

Irgendwann verließ mich jedoch die Konzentration, ich stolperte mehrfach und fiel. Zwischendurch steckte ich auch gelegentlich bis zu meinen Schienbeinen im Schlamm fest und schlitterte von einer Pfütze in die Nächste bis meine Schuhe begannen bei jedem Schritt ein schmatzendes Geräusch von sich zu geben. 

Nach etwa vier Stunden erreichten wir unser verhältnismäßig unspektakuläres Ziel – ein nah am Meer gelegener Betonblock. Den ich vor Erleichterung prompt umarmte, natürlich erst nachdem ich mich vom Boden aufgerappelt hatte, da ich gute zwei Meter vorher der Erde nochmal sehr nah kam.

Um ehrlich zu sein, war die ganze Sache eher eine Erfahrung fürs Gefühl, um später sagen zu können, dass man am nördlichsten Punkt des Europäischen Festlandes war.  Bin mir auch heute nicht sicher, ob das Preis- Leistungs- Verhältnis in diesem speziellen Fall gestimmt hat.

Während der letzten Hälfte des Rückweges, hatte ich das unbändige Bedürfnis mich auf einem der Steine niederzulassen und bitterlich zu weinen. Denn natürlich wurde es nicht besser. Es wurde immer und immer schlimmer.  

Und doch schaffte ich es entgegen aller Erwartungen, zwar mit nassen Füßen, schlammbedeckt, erschöpft und schwitzend, heile zum Auto zurück.

Meine Hüften, Beine und Füße taten so weh wie noch nie zuvor. Auch zwei Tage später schrie mein Körper bei jeder kleinen Bewegung vor Schmerz und der Muskelkater ließ mich nur sehr langsam und bedacht durch den Alltag tippeln.

ABER! (Ja es gibt hier an dieser Stelle tatsächlich ein aber.)

Es war trotzdem eine wertvolle Erfahrung. Ich habe etwas geschafft, was ich nicht gedacht hätte schaffen zu können. Grenzerfahrungen lassen uns über uns hinauswachsen. Sie können Knoten im Kopf lösen, unangenehme Gefühle an die Oberfläche holen und geben uns somit die Möglichkeit sich von ihnen frei zu machen.

Oh ja… ich habe einen Tag später viel geheult, aber es tat gut. Denn ich war danach losgelöst und total stolz auf mich.

Nun also die Frage aller Fragen:  Würde ich es nochmal machen? 

Ha! Auf gar keinen Fall.

Aber missen möchte ich diese Erfahrung eben irgendwie auch nicht.

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Dieser Beitrag hat 7 Kommentare

  1. Miri

    Klasse!!! Das wäre genau das richtige für Marius gewesen 😁😊

  2. Andre

    WahnsinnsFotos. Und Tina, bitte nicht schlagen, aber du beschreibst deine „Qualen“ der Wanderung leider so das ich Tränen lachen musste………

  3. Mama

    Was für schöne, sehenswerte und schmerzende Erfahrungen….
    Das Treffen mit Dani und Armin und eure gemeinsame Zeit am Nordkap wird euch immer verbinden.
    ❤️

  4. Alexandra

    Ich bin jedes Mal so überwältigt von euren wundervollen Fotos:)

  5. Paula

    Was für eine Erfahrung
    Ich fühle mit euch
    Und umarme euch
    Kuss

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