Bornholm- ein Epilog

Wie die Wildgänse [14. Dezember bis 16.Dezmeber 2021]

Der Dezember nimmt seinen Lauf und es wird Zeit Richtung Dänemark aufzubrechen. Der Abschied von unserer kleinen Hütte im finnischen Wald fällt uns ungemein schwer. Nach einem letzten Abschiedslagerfeuer im Schnee (mit heißem Glögi aus Holztassen) verstauen wir all unser Hab und Gut im Bus und machen uns auf den Weg zum Autozug. Die schneeverwehten Straßen, die wir passieren, kommen uns inzwischen so bekannt vor, als wären wir schon ein Jahr hier zuhause.

An der Seite des Zuges, der in Kolari vereist auf uns wartet, prangt an der Seite ein Bild vom Weihnachtsmann, kreisförmig darum herum angeordnet die Wörter „Joulupukin virallinen junayhtiö“ auf Deutsch: „das offizielle Zugunternehmen des Weihnachtsmanns“. Ich bin gerührt. Mal wieder.

Elfriede wird verladen und wir bestaunen das letzte Mal den finnischen flausche Schnee, bevor wir unsere Kabine im Zug suchen. Wir finden die falsche, aber netterweise dürfen wir trotzdem bleiben. Die Kabine ist winzig, aber gemütlich. Zwei Betten und ein Waschbecken. Als der Zug sich langsam in Bewegung setzt schmerzt es in meiner Brust. Ich möchte bleiben. Am liebsten für immer. Das Land, welches wir eigentlich gar nicht vor hatten zu bereisen und von dem ich absolut keine Vorstellung hatte, hat sich dann doch am meisten in mein Herz gebrannt.

Der Zug rattert leise durch die kalte Nacht, an den unendlichen Nadelwäldern vorbei, weg aus dem hohen Norden, vorbei am Polarkreis, unermüdlich Richtung Süden.

In der Morgendämmerung kommen wir in Helsinki an. Es ist grau, nass und voller Menschen. So viele Menschen. Wir sind maßlos überfordert von diesem Ameisengewusel und finden das erste Mal seit 6 Monaten keinen Parkplatz. Zum Glück bleiben wir nicht lange und nehmen den Weg, ins zwei Stunden entfernte Naantali, nordwestlich von Helsinki, auf uns.

Dort geht die Nachtfährte nach Kapellskär. Wieder haben wir eine kleine eigene Kabine und sogar eine Dusche. Und so kommen wir sauber und einigermaßen ausgeschlafen morgens in Schweden an.

Während unserer achtstündigen Autofahrt nach Ystad, wo die nächste Fähre abfährt, sehen wir das erste Mal seit einigen Wochen die Sonne wieder. Ihre goldenen Strahlen ziehen sich durch unser Auto und tunken die Landschaft, die wir durchqueren, in orangerotes Licht.

Nach einer weiteren Fährfahrt kommen wir nach zwei Tagen abends auf Bornholm an.

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Weihnachten und unser erster Job [16. Dezember 2021 03. Januar 2022]

Wir sind hier, um zu arbeiten. Die Besitzerin und ihre zwei Hunde heißen uns herzlich in ihrem Zuhause willkommen. Es ist ein kleiner gemütlicher Hof mit angrenzender Scheune auf einem vier Hektar großen Stück Land. Das Haus ist warm beleuchtet und es gibt Kürbissuppe zur Begrüßung. Wir lernen uns kennen und mögen. Für die Zeit, die wir hier verbringen, dürfen wir in einem Bauwagen wohnen, der mitten auf der Pferdekoppel steht und mit einem kleinen Ofen beheizt wird.

In den kommenden Tagen helfen wir die Tiere zu versorgen und bei allerlei Kleinigkeiten auf dem Hof. Wir essen gemeinsam, trinken Kaffee und quatschen viel. Über die Weihnachtsfeiertage reist unsere Gastgeberin nach Kopenhagen, sodass wir allein für den Hof verantwortlich sind.

Da ein Schneesturm über die kleine Insel fegt und die Pumpe zufriert bin ich viel damit beschäftigt die Wassertröge der Pferde, Eimer um Eimer, mit eigener Kraft zu füllen. Lautes Fluchen inklusive. Aber dennoch haben wir unvergessliche Weihnachtstage. Wir besorgen ein paar Tannenzweige, stecken sie in einen Weihnachtsbaumständer und schmücken das „Bäumchen“. Wir kochen gemeinsam das leckerste vegane Weihnachtsessen und schenken uns gegenseitig an Heiligabend jeweils ein finnisches Messer. Das Feuer knistert im Ofen und die zwei Hunde und drei Katzen rollen sich glücklich auf den Flickenteppichen zusammen. Gelegentlich gehe ich in den Stall und lausche den drei Pferden beim schnurpseln des Heus zu. Es ist ein einfach ein urgemütliches Weihnachten.

Die letzten Tage des Jahres verbringen wir in einem B&B und einem kleinen Haus am Hafen. Wir gucken dinner for one und gehen am Meer spazieren.

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Drei Monate auf Tyskegård [03. Januar bis 20. März 2022]

Bereits drei Tage nachdem das neue Jahr begonnen hat, ziehen wir auf Tyskegård ein. Einem wunderschönen vier Seiten Hof. Auf einem Hügel gelegen, sodass man hinunter auf das Meer blicken kann. Drei Monate leben und arbeiten wir hier. Aber nicht nur das, wir lernen inspirierende Menschen kennen, es entstehen Freundschaften. Wir beschäftigen uns jeden Tag mit neuen Dingen, stellen uns unbekannten Herausforderungen und lernen in kurzer Zeit wahnsinnig viel dazu. Wir helfen dabei einen Ententümpel auszuheben, bereiten Gartenmöbel auf, verschönern und richten einen Hofladen ein, legen Beete an, entrümpeln eine Scheune und als ein Sturm über den Hof wütet, reparieren wir Dachziegel. Die Arbeit ist körperlich herausfordernd und obwohl die wöchentlichen Arbeitsstunden, durchaus überschaubar sind, machen es uns die Kälte und der eisige Westwind schwer. An manchen Tagen, wenn der Himmel und das Meer so grau sind, dass sie miteinander zu verschwimmen scheinen, krabbeln wir nach getaner Arbeit bereits nachmittags in die warmen Federbetten zurück.

Im Februar empfangen wir das erste Mal, nach so vielen Monaten auf Reisen, Besuch aus der Heimat. Julias Eltern kommen für fünf Tage auf die kleine Insel und auch zu meinen 30. Geburtstag einige Tage später, beehren uns mein Bruder und zwei liebe Freundinnen. Es sind Tage angefüllt mit Musik, Zigaretten zum Sonnenaufgang, bunten Luftballons, Schokoladenkuchen, Spaziergängen am Meer, Papierschlangen, Wunderkerzen und sehr, sehr viel Liebe.

Es ist eine wunderbare Zeit und der beste 30. Geburtstag, den ich mir nur hätte wünschen können.

Die Zeit bis Ende März gewöhnen wir uns nach und nach an die Arbeit und erleben noch viele andere schöne Dinge. Wir genießen gemütliche Pizzaabende in der Orangerie am warmen Ofen, während draußen in der kühlen Nacht die Milchstraße am Himmel steht. Wir machen sonnige Spaziergänge am Strand, genießen die dänische Saunakultur, sitzen gelegentlich am knisternden Lagerfeuer und setzen für einen Tag sogar rüber auf das Festland und flanieren durch Kopenhagen.

Die Temperaturen werden immer milder und der Frühling kündigt sich an, als es Zeit wird zu gehen. Ende März packen wir erneut unsere Sachen. Nur dieses Mal fahren wir nicht in ein neues Abenteuer, sondern zurück. Zurück nach Deutschland. Das Gefühl als wir die Grenze passieren und uns die Straßenschilder, die Fahrbahnmarkierungen und die Landschaft langsam bekannt vorkommen, ist schlimm. Das ist es nun, das Ende einer unvergesslichen Reise. Knapp 10 Monate waren wir unterwegs. 296 Tage. Wir haben vier Jahreszeiten in vier Ländern erlebt. Den wohl hellsten Sommer, den farbenfrohsten Herbst und den schönsten Winter. Wir haben den Polarkreis passiert und waren so weit im Norden, dass die Sonne im Sommer nicht unter und im Winter nicht mehr aufgeht. Wir durften tanzende Polarlichter sehen, Midsommar feiern und Hundeschlitten fahren. Haben gemütliche Rentierherden, flinke Papageitaucher und 15 Meter große Wale in ihrem natürlichen Lebensraum beobachtet.

Wir sind so dankbar, für all die Menschen, die unseren Weg gekreuzt haben, diese unfassbare Natur, für Elfriede die uns sicher über die endlosen Straßen getragen hat, dafür dass wir gesund geblieben sind, für jedes Lachen, ja sogar für jede Träne und jeden Streit, jede Überwindung und jedes Problem, denn sie haben uns wachsen lassen.

Kurz bevor wir die Reise antraten, wurde ich manchmal mitten in der Nacht wach und fragte mich, was zur Hölle wir hier vor haben. Wohnungslos sein. Wie verrückt. Und vielleicht ist es das auch ein bisschen gewesen. Aber ich bin so froh, dass wir es gewagt haben und gesprungen sind. Ins ungewisse Abenteuer. Denn es war das Beste, was mir jemals passiert ist und ich würde alles (Materielle) dafür hergeben es nochmal zu tun. Denn wir haben in einem Jahr so viel gelernt wie in 10 Jahren zuvor nicht. Über das Leben, die Menschen, Skandinavien, über uns.

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Danke!!!

An dieser Stelle ein dickes Dankeschön an all unsere Herzmenschen, die uns auf die eine oder andere Weise auf der Reise begleitet haben. Danke!! Danke für jedes Päckchen, jede Karte, jeden Brief, jeden (Video) Anruf, jede WhatsApp, jede Sprachnachricht, jeden Kommentar auf diesem Blog. Überhaupt für alle Leser:innen dieser Geschichte sind wir dankbar.

Und wir wissen- irgendwann wird sie weiter gehen, unsere Reise. Um genau zu sein ging es auch schon weiter. Denn wir durften im September dieses Jahres noch einmal für einen Monat auf den wunderschönen vier Seiten Hof nach Tyskegåd zurückkehren. Das haben wir gemacht und es war großartig. Fast so als käme man nach Hause.

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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Andrea

    Wie wundervoll du das geschrieben hast Tina!!!!

  2. Uwe - Papa

    Mehr als Weisheit aller Weisen, galt mir reisen, reisen, reisen.
    Theodor Fontane

    Sehr schön geschrieben und wie immer schöne Bilder !!!

  3. Nina

    Sehr berührend geschrieben. Wir sind sehr froh, dass ihr unseren Hof gefunden habt. ❤️

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