28/06/2021 – 04/07/2021    Von Tina und Julia

Reise hinter die Polarkreisgrenze

Am Tag unser Abreise aus der Midsommarstuga, besuchen wir einen Nationalpark namens Fulufjället.

Auf Holzstegen laufen wir durch eine wundersame beinahe magische Natur. Die Sonne bricht durch das Blattwerk der Bäume und tänzelt in Lichtflecken auf dem Boden, kleine und größere Bäche suchen sich ihre Wege durch die üppige grüne Farn- und Mooswelt, flauschige Wollgrasköpfe wiegen im Wind. Ich würde mich absolut nicht wundern, wenn eine Elfe, der Lorax oder eine Brummsel (Olli Schulz) uns auf eine Tasse Tee in ihr Wurzelhaus einladen würden. So märchenhaft ist es hier. 

Unser Ziel in dem Nationalpark ist der Njupeskär. Der höchste Wasserfall Schwedens. 

Aus 125 Metern fällt das Wasser brüllend laut in die Tiefe, darum hören wir ihn lange bevor unsere Augen ihn entdecken. Wir werden demütig und fühlen uns auf einmal sehr, sehr klein. 

Über rutschige Steine klettern wir immer näher an die fallenden Wassermassen heran. Inzwischen rufen wir uns die Sätze zu, um uns überhaupt zu verstehen, so laut ist es hier. Die tausend kleinen Wassertröpfchen des Njupeskär setzen sich angenehm kühl auf unsere warme Haut. Wir bleiben ein bisschen und beobachten gespannt dieses beeindruckende Naturspektakel.

Nachdem wir diesem unfassbar schönen Fleckchen Erde den Rücken gekehrt haben, finden wir auf unserem Weg weiter in den Norden, knapp vier Stunden später einen hübschen Campingplatz mit einer tollen Aussicht über die sattgrünen Wälder. Dies wird für die  kommenden zwei Nächte unser Zuhause. Am ersten Abend laden uns spontan vier ältere schwedische Herren auf ein Bier ein. Einer von ihnen singt in beinahe akzentfreiem Deutsch „ Ein Prosit, ein Prosit…“. Wir heben unsere Büchsen und stoßen mit einem Skål an. Auf das Leben, die Liebe und Nina Hagen (er ist großer Fan).

In den Tagen nach unserem Aufenthalt auf dem Campingplatz  legen wir mit Elfriede viele Kilometer zurück. An einem Tag sind wir aufgrund der nie untergehenden Sonne knapp elf Stunden auf den ruhigen, einspurigen, sich windenden Straßen unterwegs. Die Natur beginnt sich zu verändern, die Bäume werden merklich kleiner und die Landschaft wird karger. Mehrmals kommen uns freilaufende Rentierherden entgegen. Es ist beeindruckend und ich kann kaum erwarten noch mehr von ihnen zu entdecken. Ich frage mich beim Anblick dieser Tiere in freier Wildbahn, wie ich jemals auch nur eine Sekunde darüber grübeln musste, eine Wohnung an einer Straßenbahnhaltestelle zu kündigen.

 Nach einer einigermaßen erholsamen Nacht auf einem Rastplatz überqueren wir am 01. Juli die Polarkreisgrenze. So hoch im Norden bin ich noch niemals nie in meinem ganzen Leben gewesen. Das Gefühl was sich in mir ausbreitet, als ich dieses Schild entdecke und mir bewusst wird, wie weit wir bereits gefahren sind, ist mit Worten kaum zu beschreiben. Es ist das pure Glück.

Zwischen Fichten- und Kiefernwäldern unweit von Kiruna, der nördlichsten Stadt Schwedens, empfängt uns nach knapp 2300 Kilometern Schwedisch Lappland.  

Unerwartet heiß hier oben, schlagen wir unser Lager auf und sind unvorstellbar froh, dass wir stolze Besitzerinnen einer Markise sind, die uns täglich ihre Stange hält und treu Schatten spendet. 

In den nächsten fünf Tagen klettert das Thermometer mehrmals über die 30 Grad- Marke und es kommt uns vor, als wäre das alles ein einziger langer Tag, der nie enden will. Denn es ist nicht nur sehr heiß, es ist auch noch ununterbrochen hell. Unser Biorhythmus kommt ein wenig durcheinander und unsere Schlafgewohnheiten auch. So richtig kann ich nicht mehr sagen, ob wir dieses eine Mal dem Sonnenauf- oder Untergang entgegen gerudert sind.

Inzwischen haben wir weniger Bedenken Wölfe oder Bären anzutreffen, als eine dieser fürchterlichen Pferdebremsen, die hier stets und ständig, wild und unkontrolliert, umher fliegen- kein Scherz, die machen uns wirklich Angst!

Aber nun zu den erfreulicheren Geschehnissen, der letzten Tage.

Hier erlebe ich einen unvergesslich schönen Geburtstag mit einer selbstgebastelten Girlande, die sich vom Auto über die Markise rankelt, einer frisch gebackenen Pfannkuchentorte (falls ihr wissen wollt wie großartig die schmeckt, hier gehts zum Rezept ->  Pfannkuchentorte (2.1)), die gefüllt mit Johannisbeermarmelade, Schockocreme, frischen Erd- und Blaubeeren ist und einem selbstgeflückten bunten Blumenstrauß. Während der Mitternachtssonne öffne ich meine Geschenke und erhalte eine Videobotschaft von meiner Familie und meinen Freunden*innen, die mich so berührt, dass mir die Tränen aus den Augenwinkeln laufen. Und dass alles, hab ich der allerbesten Freundin, die ich nur haben kann zu verdanken. Danke, dass du mir diesen Tag so besonders machst. Ich werde das alles niemals vergessen <3!

Auf diesem Campingplatz machen wir eigentlich ständig flüchtige Bekanntschaften, während wir zum Beispiel auf die nächste freie Waschmaschine oder Dusche warten, Kaffee in der Gemeinschaftsküche kochen, einige kommen sogar zum gratulieren vorbei und wiederum andere stehen ganz ungeniert, in knapper Badehose, vor unserem Auto und halten ein Pläuschchen.

So auch ein witziges, etwas aus der Zeit gesprungenes Pärchen aus Brandenburg. Wir nennen sie jetzt einfach mal Dieter und Hannelore. Beide haben einen kleinen moppligen Mischlungshund namens Kalle, der sich bis auf den Gang zu seinem Fressnapf, kaum bewegt. Wir finden ihn gleich sehr sympathisch. 

Als ich gerade auf unserem Auto herum krabbel, um meine Angel aus dem Dachkoffer zu friemeln, höre ich von unten eine leise Stimme, die mich fragt „Mal ne Frage, macht ihr och in den nächsten Tage rüber?“ Ich hatte den Eindruck Dieter möchte mit seiner Frage möglichst kein großes Aufsehen erregen und somit rutsche ich ein kleines Stückchen über das Autodach, beuge mich zu ihm hinunter und antworte vertraulich: „Machen wir. Am 5. Juli öffnen die Grenzen.“ Kurz darauf verstauen die beiden ihre sieben Sachen in ihrem Wohnmobil und sind startklar für die Weiterreise. Dieter und ich nicken uns verbündet zu und ich hoffe inständig, dass wir beide Norwegen gemeint hatten.

Zwei Tage später, brechen auch wir auf. Von der liebenswerten Besitzerin des Camps erhalten wir bei unserer Verabschiedung noch einen regionalen Leckerbissen: Eine kleine Kugel, aus Lakritz und Nougat. Ich liebe es, Tina hasst es (Lakritz- Theorie).

Bevor wir Richtung Norwegen aufbrechen, füllen wir unseren Reiseproviant nochmal ordentlich auf und dass ist jetzt absolut kein Witz, da steht nicht wirklich Greta Thunberg vor uns an der Kasse und bezahlt ihren Süßkram. Nur einen Warentrenner entfernt. Wir hatten beide einen kleinen großen Fangirl Moment. Und so verabschieden wir uns etwas wehmütig aus diesem wunderschönen Teil Skandinaviens und sind ganz sicher, dass wir wieder kommen werden!

Nachruf

Gegen Ende unseres Aufenthaltes haben wir einen schmerzlichen Verlust zu verzeichnen. Tinas alteingesessenen Campingstuhl riss es zu Boden. In seinen letzten Stunden hielt er sich nur noch am seidenen Faden und wackelte ganz schwach vor sich hin. Wir mussten uns eingestehen, dass er nie wieder der Alte werden würde und erlösten ihn von seinen Qualen. 

Er hatte ein langes, aufregendes Leben und konnte an vielen Orten auf dieser Welt sitzen.

Selbst nach einem kurzen Eigentumswechsel (nächtlicher Diebstahl auf einem Festival) fanden sich die beiden am nächsten Morgen verkatert zwischen all den anderen klapprigen Gestellen wieder.

In tiefer Trauer und unendlicher Dankbarkeit nehmen wir Abschied von:

Campingstuhl, blauer

*02. Mai 2009 –  †04. Juli 2021

Dieser Beitrag hat 8 Kommentare

  1. Miri

    Ein Traum 🥰

  2. Mama

    Was für wunderschöne Fotos und ganz bezaubernde und humorvolle Beschreibungen und ein wundervoller 31. Geburtstag 😘😍
    Der Campingstuhl…wie traurig

  3. Andre

    Hallo ihr beiden , so tolle Fotos und noch bessere ( ne gleichgut) Texte. Damit zieht ihr mich richtig in eure Geschichte mit rein. Mittendrin aber nicht dabei …sozusagen. Habt ihr schon einen Verlag für das Buch? ;).

  4. Paula

    Tolle Geschichte.
    Ich musste lachen.
    Ich war berührt.
    Ich war gespannt.
    Und dann auch noch Greta, habt ihr euch ein Autogramm geben lassen? Selfi?

    1. ewigmeinewigdeinewiguns

      Danke liebste Paula. Und nein, wir haben kein Selfi. Sie wurde ohnehin belagert und da dachten wir, dass müssen wir jetzt nicht auch noch machen. Aber wir werden es trotzdem nicht vergessen. 😘

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